Wie können diese Ukrainer es wagen, ein dermassen glückliches Leben zu führen? – Über den Neid und die Wut und die Rache von Russlands Frauen

Angesichts des mit äusserster Brutalität geführten Krieges gegen die Ukraine ist derzeit viel von toxischer russischer Männlichkeit die Rede. Übersehen wird dabei gern die Rolle der russischen Frauen als willige Beihelferinnen.

Alissa Ganijewa
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Die Putin-Jugend hat auch ein sehr weibliches Gesicht. – Cheerleader-Fanklub in Sewastopol, 2015.

Die Putin-Jugend hat auch ein sehr weibliches Gesicht. – Cheerleader-Fanklub in Sewastopol, 2015.

Mikhail Mordasov / Saltimages /Laif

Die Tatsache, dass sich der russische Staat keineswegs um jeden seiner Bürger kümmert, der in seinem blutigen Krieg gegen die Ukraine ums Leben kommt, überrascht ganz und gar nicht: Mütterchen Russland war schon immer äusserst grimmig zu ihren Kindern.

Was speziell auffällt, ist die Gefühllosigkeit der wirklichen Mütter gegenüber ihren Söhnen, die in Kriegsgefangenschaft geraten sind. In Dutzenden von ukrainischen Anti-Propaganda-Videos, in denen russische Kämpfer ihre Mütter zu Hause anrufen, bringen sie weder Entsetzen noch Mitgefühl zum Ausdruck. Ihre Äusserungen sind gleichgültig, kalt und sogar vorwurfsvoll, als ob sie wütend oder verärgert seien.

Einige von ihnen fangen sogar an, über die wahre Situation in der Ukraine heftig zu streiten, nachdem ihnen diese von ihren Söhnen erklärt worden ist: dass es sich bei der «Spezialoperation» um eine Invasion handle und von russischen Soldaten massenhaft Kriegsverbrechen begangen würden. Zu sehr stehen diese Frauen unter dem Einfluss der Staatspropaganda, und sie sind zu ängstlich oder zu ungebildet, als dass sie den offiziellen Lügen über russische Krieger, die das «brüderliche Volk» der Ukrainer von den «Nazis» befreien sollen, widersprechen würden.

Traurig und ein wenig stolz

Ein normaler Mensch kann nur schwer verstehen, was hinter diesem Verhalten steckt. Ich verfolge verschiedene regionale russische Chats, in denen sich die Teilnehmer in aggressiv-mörderischen Parolen gegen die Ukrainer suhlen. Die jahrelange Indoktrination der russischen Medien, die unentwegt Hass auf die allzu freiheitsliebenden Nachbarn verbreiteten, war nicht umsonst. Es werden Porträts der Opfer dieses sinnlosen und ruchlosen Angriffskriegs gepostet, und die Kommentare von Frauen, Bekannten und Nichtbekannten sind betrübt und doch ein wenig stolz. Es gibt keinerlei Vorbehalte gegenüber dem eigenen Staat, der dieses Abhaken der Namen von Gefallenen verordnet hat.

Diese Frauen nehmen den Tod ihrer Nächsten einfach als Schicksal hin; einige von ihnen haben immerhin den Mut, über mögliche finanzielle Entschädigungen für die Gefallenen zu diskutieren. Das erinnert mich an die Witwen von Fallschirmjägern aus Pskow, die 2014 in der Ukraine starben, als Putin die Anwesenheit russischer Truppen in dem aufmüpfigen Land immer wieder leugnete: «Sie sind nicht dort», sagte er. Witwen, die daraufhin mit Journalisten zu sprechen begannen, wurden rasch mit Drohungen und Geld zum Schweigen gebracht. Sie nahmen die Zahlung an und überliessen ihre Ehemänner der Vergessenheit. Selbst ihre Gräber blieben namenlos.

Die von den Ukrainern mitgeschnittenen Gespräche russischer Soldaten mit ihren Müttern, Freundinnen und Ehefrauen sind noch entsetzlicher. Alle denken sie, ihre Anrufe seien privat, und so hält sie nichts zurück. Bestialische Instinkte kommen zum Vorschein, offen und unverhüllt. Zum einen sprechen alle in den niedrigsten und abscheulichsten, nicht druckbaren und auch nicht übersetzbaren Obszönitäten. Zum andern ist nicht nur die Form, sondern auch der Inhalt der Gespräche abscheulich. So gerät eine Mutter ausser sich, als sie hört, dass ihr Sohn bereit ist, sich selber zu erschiessen, und fängt an zu lamentieren, dass die Russen zu lahm mit ihrer Gewalt seien und die Zivilisten verschonten: «Worauf warten sie denn, f***? Sollen sie sie doch f***en! Sie selber haben kein f***ing Mitleid mit [den Zivilisten], warum sollten unsere warten, bis diese evakuiert werden?»

Eine andere Frau freut sich, als ihr Mann ihr erzählt, dass ihre Tochter ihm einen Brief aus der Schule geschickt habe, in dem sie sich wünsche, dass er alle Ukrainer töte. Sie lacht und sagt: «Genau! Sie hat es sogar richtig formuliert, nicht wahr?» Eine andere muntert ihren Mann mit zärtlichen Worten auf, als sie hört, dass er Kosmetika für sie und seine Schwiegermutter geplündert hat. «Sofia wird studieren gehen», sagt sie über ihre Tochter. «Sie braucht auch einen verf***ten Laptop. Raff alles zusammen, was du kriegen kannst, Andrei!» Eine andere bittet ihren Freund kokett, ein Mobiltelefon von einem Einheimischen zu klauen und sie jeden Tag anzurufen.

Frauenstimmen freuen sich auf das mit unschuldigem Blut getränkte Plündergut, und mitunter scheint es, dass sie auf diese gestohlenen Waren – wie Küchenmixer oder Waschmaschinen – noch gieriger warten als auf ihre Männer.

Die totale Entmenschlichung

Die Frauen wissen sehr wohl, dass ihre Männer Familien, Frauen und Kinder ausrauben und töten, aber sie sind so entmenschlicht, so bar jeden Mitgefühls, dass sie nur Neid und Wut empfinden. Wie können diese Ukrainer es wagen, ein derart wohlhabendes Leben zu führen und solche Möbel, Häuser und Gärten zu besitzen! Man sollte sie mit in den Schmutz und das Elend ziehen, die «die russische Welt» ausmachen, zu der sie «historisch» gehören. Ihre Stimmen zittern, wenn sie die Schilderungen ihrer Männer über das Glück und den Wohlstand der Ukrainer kommentieren.

Wenn sie von russischen Soldaten hören, die vergewaltigen oder Leute hinrichten, seufzen einige von ihnen vor Kummer, andere aber fangen gleich an zu schreien: «Das geschieht ihnen recht, sie sind alle Nazis!» Eine Frau gibt ihrem Mann sogar eine schockierende Anweisung:

«Mach nur, vergewaltige ruhig ukrainische Weiber, okay? Doch erzähl mir nichts davon. Verstehst du?» (Lachen.)

«Vergewaltigen – und dir nichts sagen?»

«Ja, damit ich von nichts weiss. Und warum auch nicht?» (Lachen.)

«Du erlaubst es mir wirklich, oder?»

«Ja, ich erlaube es dir. Aber benutz einen Schutz.»

«Alles klar.»

Jeder Kriegspsychologe kann zwar Erklärungen dafür liefern, warum so viele Kämpfer so schnell ihre ethischen Prinzipien ablegen und sich in Monster verwandeln, die von einer Mischung aus Sexualität und Aggression angetrieben werden. Aber warum lassen sich Frauen auf diese Perversität so eifrig ein, ermutigen ihre Männer und stiften sie gar noch dazu an, rote Linien zu überschreiten?

Manche werden sagen, dass diese Blutrünstigkeit und dieser Hass eine sehr unweibliche Haltung seien, ich aber würde vermuten, dass dieses Verhalten Ausdruck eines eisernen Patriarchats ist. Ein Marodeur, der plündert, brandschatzt, den Feind besudelt und Beute nach Hause bringt, gilt darin als tapferer Ernährer. Der russische Staat mit seiner nachgerade faschistischen imperialen Ideologie hat seinen armen, trägen und gedemütigten Volksmassen einen Freibrief ausgestellt, sich für ihr Elend auf Kosten freiheitlich denkender, ihr Leben aktiv gestaltender und europäisch gesinnter Menschen zu rächen.

Erniedrigung und häusliche Gewalt

Der Kern des russischen Systems besteht seit langem aus bewaffneten Männern, die anderen bewaffneten Männern zudienen. Die Zahl der Ordnungshüter und Machtträger mit Schlagstöcken übersteigt mittlerweile deren Zahl in der UdSSR, obwohl die Bevölkerung Russlands nur halb so gross ist. Frauen werden dazu erzogen, andere Frauen zu hassen und Feminismus als Schimpfwort zu betrachten, als eine Geisteskrankheit, die der eigenen Erfolglosigkeit gegenüber Männern entspringt. (Ich hörte von einer Frau, dass es für eine Frau sehr unschicklich sei, sich gegen den Krieg auszusprechen, man solle das Wort «Krieg» nicht im Mund führen, was übrigens der herrschenden Zensur entspricht.)

Die meisten russischen Frauen leben in einem Paradigma von totaler Erniedrigung und häuslicher Gewalt – und sind dennoch weit davon entfernt, über ihre eigenen Rechte nachzudenken. Dies umso mehr, als das System auch die Männer ihrer Individualität und Subjektivität beraubt. Beim heutigen Russland handelt es sich um ein paternalistisches autoritäres System, in dem der Radius der eigenen Entscheidungen und der eigenen Verantwortung rasant schrumpft und schwindet.

Die Versuchung ist gross, die gesamte russische Gesellschaft als Opfer zu betrachten, aber auch wenn dies teilweise zutrifft, sollte uns das nicht der Aufgabe entheben, kollektiv die Verantwortung für die Schandtaten des Regimes zu übernehmen, zu denen auch dieser Krieg gehört.

Putin und viele seiner Komparsen sind offensichtlich sexistisch, wie man ihren Witzen und anzüglichen Bemerkungen entnehmen kann. Dennoch stellen sie oft und gern Frauen in die erste Reihe. Sie sind es, die infame oder fragwürdige Aktionen wie die Annexion der Krim (Walentina Matwijenko, die Vorsitzende des Oberhauses des sogenannten Parlaments), die Rückannullierung von Putins Amtszeit als Präsident (die erste weibliche Kosmonautin, Walentina Tereschkowa), die Einführung von Gesetzen, welche es den Sicherheitsdiensten erlauben, Telefongespräche, E-Mails und Nachrichten von Bürgern zu kontrollieren und zu speichern (die Abgeordnete Irina Jarowaja), oder die Anti-LGBT-Gesetze (die Abgeordnete Jelena Misulina) offiziell ankündigen oder verkünden dürfen.

Auf der anderen Seite bilden Frauen den aktivsten Teil der winzigen russischen Zivilgesellschaft – sie sind die Speerspitze des politischen Aktivismus. Am Vorabend des Ukraine-Krieges hob eine kleine Gruppe von Frauen die Bewegung der «Soft Power» aus der Taufe: Sie verfasst kollektive Briefe gegen den Krieg und fordert Mütter, die ihre Soldatensöhne verloren haben, trotz drohenden Verhaftungen und Anzeigen zum Protest auf.

Es gibt auch eine feministische Antikriegsbewegung, die Frauen im ganzen Land anonym auffordert, Preisschilder in Geschäften durch Informationen über die Massenmorde in der Ukraine zu ersetzen, Denkmäler berühmter Ukrainer in Russland mit Blumen zu schmücken sowie überall in den Städten Antikriegsaufkleber anzubringen. Es existieren mutige Frauen, wie die Mutter eines getöteten Soldaten aus Burjatien, die einsam Mahnwachen hält und ein Ende des Krieges fordert. Ich habe in den vergangenen Jahren an vielen politischen Protesten teilgenommen, die meisten Teilnehmer waren Frauen.

Im scharfen Kontrast zum Traditionalismus, nach dessen Regeln eine gute Mutter ihre Söhne in den Krieg schickt und, wenn sie fallen, neue gebiert, hat sich der Feminismus in Russland dem Kampf für den Frieden verschrieben. Die Feministinnen bilden eine kleine Minderheit, und doch zweifeln sie nicht daran, dass sie auf dem Weg sind, der Mehrheit der Frauen irgendwann mehr Rechte zu verschaffen.

Alissa Ganijewa lebte als Schriftstellerin und Literaturkritikerin in Moskau. Mittlerweile hat sie Russland verlassen. Auf Deutsch erschien von ihr zuletzt beim Wieser-Verlag der Roman «Verletzte Gefühle». – Aus dem Englischen von Andreas Breitenstein.

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